Sunday, April 19, 2015

2015.04.29

Lieve Van Hoof (ed.), Libanius: A Critical Introduction. Cambridge, New York: Cambridge University Press, 2014. Pp. xvi, 387. ISBN 9781107013773. $120.00.

Reviewed by Raphael Brendel, Ludwig-Maximilians-Universität München (raphaelbrendel@arcor.de)

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Table of Contents

Angesichts einer langen Phase geringer Beachtung dieses Autors erscheint das 21. Jahrhundert als Jahrhundert der Libaniosforschung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind in schneller Folge zahlreiche Studien erschienen, die Zeugnis vom gestiegenen Interesse an dem antiochenischen Rhetor ablegen. Mit der hier zu besprechenden „critical introduction" liegt nunmehr auch ein Werk mit einführendem Charakter, einem Cambridge Companion nicht unähnlich, vor.

Der erste Teil (Reading Libanius) besteht aus drei Beiträgen, welche die Erfassung der Person des Libanios anstreben.

Lieve Van Hoof (S. 7-38) unterzieht die Autobiographie des Libanios einer Prüfung. Sie zeigt, dass diese keine Faktenerzählung, sondern eine Konstruktion seines Lebens bietet und daher mit Vorsicht zu benutzen ist. Eine Analyse der Autobiographie ermögliche dennoch ein genaueres Bild des Libanios und informiere über seine Perspektive und die Werte, um deren Vermittlung es ihm geht.

Edward Watts (S. 39-58) untersucht die Verwendung von Emotionen in den Werken des Libanios. Anhand von zwei Beispielen (Erdbeben in Nikomedia 358, Tod Julians 363) zeigt er, dass die benannten Emotionen weniger seinen Gefühlszustand beschreiben, sondern rhetorisch genutzt werden, da etwa in einigen Briefen der Monate nach dem Tod Julians das Trauermotiv auftritt, in anderen hingegen nicht.

Raffaella Cribiore (S. 59-78) bietet eine Einführung in das spätantike Schulwesen am Beispiel der Ausbildung und der Schule des Libanios. Betrachtet werden Organisation, Zusammensetzung der Schülerschaft, Aufnahmeprozess und Lektüre.

Der zweite Teil (Libanius' texts: Rhetoric, self-presentation and reception) versammelt fünf Aufsätze, die Einführungen in die erhaltenen Schriften des Libanios bieten.

Vier der Beiträge bilden einem speziellen Bereich des Gesamtwerkes gewidmete Überblicke, die einen Einblick in Zahlenverhältnisse, Überlieferungszustand, spätere Fälschungen, Anordnungsprobleme (so sind etwa die Reden thematisch, nicht chronologisch angeordnet, was auf byzantinische Schreiber zurückgeht), Bedeutung und Quellenwert sowie häufigere Inhalte. Die Reden behandelt Pierre-Louis Malosse (S. 81-106), die Deklamationen Robert J. Penella (S. 107-127), die Progymnasmata Craig A. Gibson (S. 128-143) und die Briefe Bernadette Cabouret (S. 144-159).

An relevanten Einzelergebnissen ist hervorzuheben: Malosse bemerkt, dass das vordergründige Thema einer Rede nicht identisch mit dem tatsächlichen Ziel sein muss und hebt die Bedeutung des/der Adressaten hervor. Gibson weist auf die Bedeutung der Thematik der Selbstkontrolle in den Progymnasmata hin. Cabouret sieht die Lücke im Briefcorpus des Libanios in dem von ihr als wenig beeindruckend und konventionell erachteten Inhalt. Als wichtige Funktionen der Briefe hebt sie hervor: „Vehicles of friendship", die Korrespondenz in seiner Funktion als Lehrer und das Empfehlungsschreiben.

In diesen Bereich ebenfalls aufgenommen ist der Beitrag von Heinz-Günther Nesselrath und Lieve Van Hoof zur Rezeption des Libanios (S. 160-183). Dieser sammelt die Äußerungen spätantiker und byzantinischer Autoren über Libanios, die Fälle der Nachahmung seiner Schriften, behandelt den gefälschten Briefwechsel zwischen Libanios und Basilios, die angeblichen und tatsächlichen christlichen Schüler des Libanios und die erstmals bei Pseudo-Amphilochios belegte Geschichte einer angeblichen Konversion des Libanios zum Christentum. Aus der Neuzeit hervorgehoben werden die Fälschungen des Giovanni Aurispa und die des Francesco Zambecchari, die Bedeutung des Libanios für das frühneuzeitliche Theater, die Editionstätigkeit (vor allem Richard Foersters) und die Verwendung des Libanios durch die moderne Forschung.

Der dritte Teil (Contexts: Identity, society, tradition) enthält fünf Studien, die einen Beitrag dazu leisten, Libanios als Mensch seiner Zeit zu verstehen.

Hans-Ulrich Wiemer (S. 187-219) untersucht die Rolle von Kaiser und Kaisertum bei Libanios. Nach einer Analyse der Informationen zum Verhältnis zu den einzelnen Kaisern ermittelt er die bei Libanios genannten Hauptaufgaben des Kaisers (Verteidigung vor äußeren Feinden, Erhalt von Recht und Ordnung, Wohlstand der Städte, Wahrung der Bildung) und demonstriert, dass Libanios, der ein unterschiedliches Bild in seinen Reden und in seinen Briefen zeichnet, nicht wortwörtlich als Quelle für die spätantike Verwaltung verwendet werden darf.

Scott Bradbury (S. 220-240) arbeitet auf Basis der Briefe des Libanios dessen Netzwerke heraus. So zeigt er etwa die Bedeutung von Kontakten und Verwandschaft für die Vermittlung von Schülern. Die Relevanz des über keine Amtsgewalt verfügenden Libanios für Patronage liege in seiner Eigenschaft als Persönlichkeit mit Einfluss, Kontakten und rhetorischen Fähigkeiten. Bradbury zeichnet hier auch die Entstehung und Entwicklung der Korrespondenz des Libanios mit dem kaiserlichen Hof nach.

Heinz-Günther Nesselrath (S. 241-267) widmet sich der Ermittlung der Quellen und Vorbilder des Libanios. Hierfür analysiert er zwei Reden, namentlich die Hymne an Artemis (Rede 5) und die Monodie auf Julian (Rede 17). Für die Artemishymne kommt er zu dem Ergebnis, dass Libanios darin hauptsächlich Homer nutzt und nur gelegentlich andere Autoren heranzieht; eine Benutzung hellenistischer Dichtung sei unwahrscheinlich. Für die Monodie konstatiert er ein erheblich größeres Spektrum verwendeter Autoren mit dem Ziel, die durch den Tod Julians entstandene Situation zu verdeutlichen.

Jan R. Stenger (S. 268-292) diskutiert die Frage nach der Idee des Hellenismos bei Libanios. Er arbeitet heraus, dass Libanios das Griechentum nicht auf einen Aspekt reduziert, sondern über ein flexibles Konzept verfügt, das ihm erlaubt, bestimmte Aspekte gegenüber seinen Adressaten stärker oder weniger stark zu betonen. So werden in den Reden an die Kaiser die politischen, im Antiochikos die kulturellen Aspekte betont. Eine weitere zentrale Funktion ist die Möglichkeit für Libanios, seine Position innerhalb seines Netzwerkes zu definieren und auf dieser Basis mit anderen Personen zu interagieren.

Peter Van Nuffelen (S. 293-314) untersucht die religiöse Einstellung des Libanios. Er zeigt, dass Libanios Religion zwar im Kontext seiner Rhetorik nutzt, was aber nicht die Folgerung religiöser Gleichgültigkeit zulasse, sondern genaue Kenntnis und aktives Interesse voraussetze. Drei Faktoren hebt Van Nuffelen hervor: Die soziale Position als Mitglied der antiochenischen Elite, die rhetorische Stellung des jeweiligen Textes und die persönliche religiöse Überzeugung des Libanios. In diesem Zusammenhang bemüht sich Van Nuffelen um eine Neubewertung der 30. Rede pro templis, als deren Hauptziel er nicht den Schutz der Tempelbauten und der heidnischen Religion, sondern die Verteidigung der Interessen der Grundbesitzer ansieht.

Eine hervorragende Ergänzung bietet der Anhang (S. 317-350), der sämtliche erhaltenen Werke des Libanios und die vorhandenen Übersetzungen zusammenstellt.

Dieser Band ist ein exzellenter Forschungsbeitrag von hohem Wert. Da zu hoffen ist, dass – ähnlich dem Cambridge Companion to the age of Constantine – eine zweite Auflage erscheinen wird, die dieses wichtige Werk aktuell hält, seien als Vorarbeit die wenigen Addenda und Corrigenda umso vollständiger zusammengestellt.

Druckfehler und Ähnliches: S. 51 „Pricus" (richtig „Priscus"); die unpassend platzierte Anm. 47 von S. 203 scheint ein Überbleibsel der deutschen Fassung des Beitrages zu sein; die Konstantinbiographie von Barnes erschien 2011, nicht 2010 (S. 351); die Aufsätze von Schissel erschienen nicht im British Numismatic Journal (S. 372), sondern in den Byzantinisch-Neugriechischen Jahrbüchern.

Sachliche Fehler und Zitate: Der Text der Daphne-Monodie (Rede 60) ist nicht im eigentlichen Sinne „corrupt" (S. 40, Anm. 9), sondern nur über Zitate des Johannes Chrysostomos erhalten. S. 168, Anm. 38 ist „Symeon Logothetes, Chronographia p. 105, 20–23 Bekker" am Anfang zu „Leon Grammatikos" zu ändern oder angesichts der neuen Edition „96,4 (p. 123,16–124,19 Wahlgren)" zu schreiben. Einfacher als „the Edict Cunctos populos" (S. 180, Anm. 87) ist „CTh 16,1,2" nachzuvollziehen. Zonaras ist nach Büttner-Wobst, nicht nach PG 134 (S. 193, Anm. 16) zu zitieren. Die Photios-Ausgabe von René Henry umfasst neun, nicht acht Bände (S. 362); bei Ausschluss des Registerbandes wären dagegen nur vier Bände für Adlers Suda-Edition (S. 351) zu nennen.

Literaturverzeichnis: Die Julianbiographie von Bidez sollte nach der (vom Autor selbst ergänzten) deutschen Übersetzung von 1940, nicht nur nach der Originalaugabe von 1930 zitiert werden (S. 352). Für Geffckens Monographie über den Ausgang des Heidentums wäre die ergänzte zweite Auflage von 1929 anstelle der von 1920 (S. 359) heranzuziehen. Bei den Zweiterscheinungsorten wäre eine möglichst vollständige Zitierweise wie bei Nock 1957 (S. 369) und White 1974 (S. 376) optimal; Ergänzungen sind möglich bei Barnes (S. 351) und Petit (S. 370) sowie bei Langlois (S. 364), Matthews (S. 367) und Straub (S. 374).

Literaturergänzungen: S. 210 bietet sich ein Verweis auf die Dissertation Teitlers zu den notarii (Notarii and exceptores, Amsterdam 1985, insbesondere S. 34-37) an. Aufgrund ihres Erscheinungsdatums oder ihrer grundlegenden Thematik (Überlieferung) wären sicher noch von Nutzen gewesen: Herbert Hunger, Zwei unbekannte Libanioshandschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Scriptorium 6 (1952), S. 26-32; Jean Lenaerts, Fragments d'un codex de papyrus de Libanius, in: Jean Bingen u.a. (Hrsg.), Le monde grec, Brüssel 1975, S. 549-554; Fabian Meinel, A note on Libanius ep. 1057 ed. Foerster, in: Classical Quarterly 105/N.S. 61 (2011), S. 766-767; Pierre Maraval, Les fils de Constantin, Paris 2013.

Übersetzungen: Für den Libaniosbrief 1063 an Markellinos können fünf weitere Übersetzungen genannt werden: Jean Gimazane, Ammien Marcellin, Diss. Bordeaux 1889, S. 403-404; Pierre-Marie Camus, Ammien Marcellin, Paris 1967, S. 277-279; Robert M. Frakes, Audience and meaning in the Res gestae of Ammianus Marcellinus, Diss. Santa Barbara 1991, S. 154-156; Timothy D. Barnes, Ammianus Marcellinus and the representation of historical reality, Ithaca 1998, S. 55; Alexander Demandt, Ammianus Marcellinus, in: Zeitenwende, Berlin 2013, S. 372-393 (hierzu S. 383-384).

Problematische Thesen: Die Annahme, den späteren Teil der Autobiographie habe Libanios für sich geschrieben (S. 197, Anm. 31) erscheint, insbesondere angesichts der Erkenntnisse von Lieve Van Hoof in diesem Band, wenig plausibel. Der unter Theodosius erfolgte Antrag des Libanios, seinen unehelichen Sohn Kimon als Erben einsetzen zu dürfen, bezeugt nicht zwingend die Rücknahme des valentinianischen Gesetzes, wonach dies erlaubt war (so S. 198), sondern kann auch Problemen bei der Durchsetzung der Rechtslage geschuldet sein (siehe etwa S. 199 für die Konflikte zwischen Libanios und den Statthaltern).

Wünschenswert gewesen wäre ein eigenes Kapitel über Libanios und die Kurie/Kurialen, zumal mit der Dissertation von Alexander Baumann (Freiheitsbeschränkungen der Dekurionen in der Spätantike, Hildesheim 2014) das aktuellste Werk zu dieser Thematik Libanios kaum zitiert.

Zur Libaniosrezeption wäre zu ergänzen: Unbeachtet bleibt Cassiodors Historia tripartita, der viele mittelalterliche Geschichtswerke, die sich zu Libanios äußern (etwa Landolfus Sagax), die ereignisgeschichtlichen Informationen verdanken. Zudem handelt es sich bei Cassiodors aus Sokrates entnommenen Libanioszitaten wohl um die älteste nachweisbare Übersetzung des Libanios ins Lateinische. Neben der Edition Foersters (S. 177-178) hätten auch seine zahlreichen Vorarbeiten, vor allem aber die (oft sehr detaillierten) Rezensionen der Edition berücksichtigt werden können; die Autoren sind eingeladen, hier auf Vorarbeiten des Rezensenten zurückzugreifen. Zudem sei noch hingewiesen auf Lionel A. Tollemache, The lament of Libanius, in: Fraser's Magazine 601 (Januar 1880), S. 72 und F. W. Farrar, An imaginary conversation or, why Libanius could not become a Christian, in: Good words January 1896, S. 418-423.

Es mag erlaubt sein, die Liste mit einem Zitat Ernst Hohls zu beenden: „Wie kleinlich und peinlich solche Randglossen wirken können, weiß ich selbst. Sie sollen die ehrliche Freude an einer so schönen, willkommenen und zeitgemäßen Gabe nicht dämpfen, vielmehr lediglich dazu beitragen, die treffliche Übertragung künftig von einigen Schönheitsfehlern zu befreien." (Gnomon 19 (1943), S. 59).

Das Zitat ist aus zwei Gründen gewählt. Erstens trifft die Aussage auch für dieses Buch zu: Es handelt sich um eine Sammlung hochwertiger Aufsätze, die sowohl als Einführung zu Libanios als auch als Forschungsbeiträge nutzbar sind. Erwähnenswert ist auch, dass die Aufsätze, die auf ältere Beiträge in deutscher Sprache zurückgehen (Wiemer, Nesselrath zur Rezeption), sich nicht auf Übersetzungstätigkeit beschränken, sondern auch Ergänzungen aufweisen. Zweitens entstammt das Zitat Hohls Rezension der Julianbiographie von Joseph Bidez. Diese ist bekanntermaßen ein als Ganzes nicht ersetztes Werk, das bei jeder Beschäftigung mit Julian noch immer unverzichtbar ist. Den Beiträgern des Bandes gelingt es, für Libanios das zu leisten, was Bidez mit seiner Biographie für Julian vollbracht hat. Kein Erforscher des Libanios und seiner Zeit wird dieses Werk, das seinen stolzen Preis durchaus wert ist, unbeachtet lassen dürfen.

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