Tuesday, October 14, 2008

2008.10.20

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Adalberto Giovannini, Les relations entre États dans la Grèce antique. Du temps d'Homère à l'intervention romaine (ca. 700-200 av. J.-C.). Historia Einzelschriften, 193. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2007. Pp. 445. ISBN 978-3-515-08953-1. €74.00 (pb).
Reviewed by Sven Günther, Institut für Alte Geschichte, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Wer gedacht hatte, die internationale Diplomatie sei im 21. Jahrhundert zu einer Art "Kuschel-Diplomatie" verkommen, der wurde spätestens im aktuellen kriegerischen Konflikt zwischen Georgien und Russland sowie den nachfolgenden "Friedensverhandlungen" eines Besseren belehrt. Nicht nur die unterschiedlichen Interpretationsweisen des vom EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens, sondern auch die verschiedenen historisch-politischen, ethnischen, kulturellen und wirtschaftlichen Hintergründe sowie deren (mehr oder weniger bewusster und geschickter) Einsatz in den zahllosen Verhandlungen stellen ein Paradebeispiel für die komplexen Strukturen und Netzwerke heutiger Diplomatie dar, das aufzuarbeiten ein lohnenswertes Unterfangen sein dürfte.

Um so interessanter und fruchtbringender gestaltet sich der Ansatz G(iovanninis), den Beziehungen der griechischen Staaten von der Frühzeit bis zum Eingreifen der Grossmacht Rom unter kategorisierenden Gesichtspunkten nachzugehen und die Gegenwartstauglichkeit der Strukturmuster aufzuzeigen. Wenn man nämlich gemeinhin zumeist Begriffe wie "Stasis" oder "Krieg" zur Kennzeichnung griechischer Gemeinwesen und ihres Verhältnisses zueinander verwendet, so stellt das nur einen (wenn auch grossen) Ausschnitt aus der breiten Palette griechischer Organisations- und Beziehungsformen dar, die G. in seiner fünfteiligen Untersuchung entfaltet.1

Im ersten Hauptabschnitt (19-82) arbeitet G. die "einenden" sozialen Voraussetzungen heraus, die als Grundlage der griechischen Welt gelten dürfen. Es ist dies, unabhängig von der realen Kategorie "Rasse", das gemeinsame Bewusstsein, Grieche zu sein, das sich in vielen Bereichen, etwa im Götterkult oder in bestimmten (moralischen) Handlungsprinzipien, zwischen einzelnen Personen bzw. Personenverbänden manifestiert. Der zweite Teil (83-136) ist dann dem "Staat" als Kategorie in seinen verschiedensten Ausprägungen gewidmet. Wie unzulänglich die allzu starren modernen staatsrechtlichen Definitionen von "Staat" im Hinblick auf die komplexen Gefüge griechischer Gemeinwesen sind, stellt G. hier ebenso heraus wie die unterschiedlichen Ausprägungsmöglichkeiten von "Staat" bei den Griechen, der eben nicht unter dem Begriff "Polis" subsumiert werden darf, sondern sich auch in anderen Organisationsformen, etwa der "Ethnè" oder dem Königreich, konkretisieren kann.

Nach dieser sozialen und politischen Grundlagenanalyse des griechischen Siedlungsbereiches untersucht G. in den folgenden Abschnitten unter systematisierendem Aspekt drei wesentliche Momente griechischer Staatsbeziehungen: den Konfliktfall (137-218) sowie bi- und multilaterale Übereinkommen, wobei er hier zwischen "accords entre états" (219-343) und "systemès d'états" (345-409) differenziert. Hier liegt denn auch der eigentliche Gewinn, aber auch die eine oder andere Schwäche der vorliegenden Studie. So sehr G. nämlich hier einerseits als wohltuendes Korrektiv etwa zur Frage nach der Bedeutung des agonalen Prinzips bei Auseinandersetzungen (146-148) eingreift, so wenig erschliessen sich dem kundigen Leser die Kategorisierungskriterien in den letzten beiden Abschnitten. Selbst wenn man die Einteilung der bi- und multilateralen Übereinkommen in "conventions", "traités" und "systèmes d'états" nach dem Grade des Eingriffs in Souveränitätsrechte bzw. nach der Anzahl miteinander in Beziehung stehender Abkommen ("systèmes") theoretisch nachvollziehen mag, so unpraktikabel erscheint jedoch die Anwendung auf die komplexen Verbindungen griechischer Staaten untereinander. Solche Zuteilungsentscheidungen verkennen und verkürzen nämlich mitunter historische Entwicklungsprozesse, deren Nachzeichnung vorderste Aufgabe der Althistorie ist und durch das mangelnde Quellenmaterial ohnehin schon erschwert wird. Insofern deutet sich in G.'s Ansatz die Schwäche jeglicher Kategorisierungsmassnahme an, die stets auf dem schmalen Grat zwischen verfälschender Verkürzung sowie immer ziselierterer und damit nach und nach unübersichtlicher Ausdifferenzierung der Kategorisierungsbausteine wandelt.

Trotz dieser systemimmanten Strukturfehler gewinnt die Studie jedoch insbesondere durch die stupende Quellenkenntnis des Autors, die das ganze Werk durchzieht und zum Weiterarbeiten anregt. Für den französischkundigen Leser dürften dabei die vielen Quellenübersetzungen, vor allem von oft nicht übersetzten Inschriften, als Ergänzung zu der Auflistung der Originaltexte und Kommentierung in den "Staatsverträgen des Altertums" zum Vorteil gereichen, wenn auch die Fähigkeit, fremdsprachige Übertragungen originalsprachlicher Quellen zu verstehen, im gleichen Masse wie die Kenntnis der Ausgangssprache abzunehmen erscheint. Mag man sich zwar an der einen oder anderen Stelle in Ergänzung der jeweils zu Anfang eines Abschnitts genannten Basisliteratur noch den einen oder anderen Spezialaufsatz oder die Auffaltung der Forschungsdiskussion zu dieser oder jener Thematik wünschen,2 so gebührt jedoch der Kompaktheit des Werkes das Verdienst, Ausgangspunkt jedweder weiteren Beschäftigung mit der Materie "griechische Staatsbeziehungen" sein zu dürfen.



Notes:


1.   Vgl. dazu auch die Arbeit von Polly Low, Interstate Relations in Classical Greece. Morality and Power. Cambridge 2007; dazu die Rezension in BMCR von Sian Lewis, nachzulesen unter: BMCR 2008.03.47; ebenso die Rezension von Ernst Baltrusch in H-Soz-u-Kult: H-Soz-u-Kult, 13.08.2007.
2.   Vgl. dazu die nicht nur in dieser Hinsicht kritische Rezension von Christian Wendt in H-Soz-u-Kult: H-Soz-u-Kult, 22.10.2007. Ausgewogener, da auch mit dem eigenen Ansatz vergleichbar die Rezension von Polly Low im elektronischen Rezensionsjournal Sehepunkte: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 (15.12.2007).

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