Wednesday, February 18, 2015

2015.02.36

Martin Lindner (ed.), Antikenrezeption 2013 n.Chr. Rezeption der Antike, Bd 1. Heidelberg: Verlag Antike, 2013. Pp. 163. ISBN 9783938032657. €35.90 (pb).

Reviewed by Kerstin Droß-Krüpe, Universität Kassel (kerstin.dross-kruepe@uni-kassel.de)

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Table of Contents

„Antike hat Konjunktur" – so heißt es ganz richtig gleich zu Beginn des Klappentextes für den hier zu besprechenden Band. Unter der Ägide von Martin Lindner, Assistent am Althistorischen Seminar der Universität Göttingen, werden hier die Beiträge einer kleineren Tagung in 2012 – vorgelegt. Gleichzeitig bildet der Band den Startschuss für eine neue Reihe zur Antikenrezeption.

Fünf der ursprünglich sieben im Rahmen der Kurztagung präsentierten Beiträge haben Eingang in den Band gefunden, und so versammeln sich hier höchst unterschiedliche Überlegungen und Ansätze zur Allgegenwärtigkeit von Antike. Wie Lindner in der Einleitung (9-13) ausführt, geht es in diesem Band weniger um Rezeptionstheorien oder Programmatiken, sondern vielmehr darum „was sich die Beteiligten unter anderem für weitere Forschung im Bereich der Antikenrezeption vorstellen könnten" (10). Denn, so die Besonderheit des Bandes, alle Beiträger/innen bzw. Referenten/innen der Kurztagung bilden gemeinsam die Herausgeber der mit diesem Band aus der Taufe gehobenen Reihe „Rezeption der Antike" im Verlag Antike. Das Herausgebergremium ist dabei erfrischend bunt gemischt, neben im Bereich der Antikenrezeption seit Jahren sehr aktiv Forschenden stoßen hier auch (relative) ‚Rezeptionsneulinge' hinzu – ein sicheres Zeichen für die Präsenz und die Attraktivität der Übernahme antiken Gedankenguts, antiker Stoffe oder Versatzstücke derselben in moderne(re) Kontexte.

Den Anfang macht der Beitrag von Susanna Philippo, die seit langem als Expertin für die Erforschung griechischer Einflüsse auf die europäische Literatur zu gelten hat. Unter dem Titel „Greek through the back door? Medieval Troy romances and the transmission and reception of Greek literature" (15-46) untersucht sie, ob und über welche Kanäle Kenntnis des antiken Trojastoffes bis ins Mittelalter tradiert wurde. Dabei betont sie die Bedeutung lateinischer Autoren wie Vergil, Ovid oder Seneca, die ihrerseits zentrale Elemente der griechischen Literatur geschöpft und so zur weiteren Vermittlung der Stoffe beigetragen haben, zeigt aber auch, dass die Dictys Cretensis und Dares Phrygius zugeschriebenen Werke der Spätantike (ebenfalls in lateinischer Sprache) eine entscheidende Rolle als ‚Zwischenstationen' spielen.

Es folgen Überlegungen von Jörg Fündling zum Thema „Das Spiel mit den Blitzen – Funktionen der antiken Götterwelt für die Gegenwartsliteratur" (47-87). Sein Fokus liegt dabei v.a. auf der Jugendliteratur aus dem anglophonen Raum, wie der Hunger-Games Trilogie von Suzanne Collins oder aber der inzwischen fünfbändigen Fantasy-Reihe um Percy Jackson von Rick Riordan. Daneben bezieht er aber auch unbekanntere Werke wie Amy Myers „Aphrodite's Trojan Horse" oder Christoph Heins anspruchsvolle Erzählungen „Vor der Zeit" ein, ohne dass dabei allerdings zweifelsfrei klar würde, nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgte. Die antiken Götter, so erläutert er im Epilog, sind deswegen so beliebte Protagonisten auf der literarischen Bühne, weil sie „für Atheisten, Agnostiker und Religiöse aller Schattierungen" (82) unproblematisch sind – sie spalten Literaten und Leser nicht in Anhänger und Opponenten. Die Studie hat zweifelsohne von den im Band versammelten Beiträgen am stärksten den Charakter eines Werkstatt- bzw. Ideenberichtes, der großes Potential in sich trägt und hoffen lässt, dass Fündling diesen Ausführungen in Bälde eine umfassendere Studie folgen lassen wird.

Einen gänzlich anderen Blickwinkel eröffnet der Aufsatz von Peter Van Nuffelen, der der bereits in der Antike kontrovers diskutierten Frage nachgeht „Sind die Mazedonier Griechen? Über Forschungsgeschichte und Nationalismus" (88-106). Ihm geht es um die nationale Identität der Former Yugoslav Republic of Macedonia und die Versuche, eine Kontinuität für Kultur und Volk zwischen antiken und slawischen Mazedonen zu konstruieren bzw. eine solche zu dekonstruieren. Gleichzeitig bildet der Aufstieg Makedoniens unter Philipp II. und Alexander III. einen Meilenstein der nationalen Identität der Griechen. Anders gefragt: Wem gehören Philipp und Alexander? Endet die griechische Geschichte bei Chaironeia oder erlebt sie in den Folgejahren eine neue Blüte? Van Nufflen legt dazu zunächst den europäischen Blick auf diesen Zankapfel der beiden streitenden Staaten vom 18. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg dar. Die Sichtweisen sind hier durchaus unterschiedlich, schließlich dominiert aber die Perspektive Droysens, die Feldzüge Alexanders hätten den griechischen Geist erst zu seiner Vollendung gebracht, während die anti-makedonischen Stimmen mehr und mehr überhört werden. Immer steht dabei die Frage der Volkszugehörigkeit der antiken Mazedonen im Fokus. Van Nuffelen schlägt vor, sich dem Problem ausgehend von der Frage, ob die Antike als exemplum oder ununterbrochenes continuum aufgefasst wird, zu nähern. Das jeweilige Verhältnis zur Antike kann so, gemeinsam mit Überlegungen, was unter „griechisch" bzw. „Griechenland" verstanden wird, zum Schlüssel für künftige rezeptionsgeschichtliche Auseinandersetzungen zur Mazedonienforschung werden.

Das Medium des Films findet im folgenden Beitrag von Martin Lindner Eingang, der „Germania Nova – Das antike Germanien in neuen deutschen (Dokumentar-)Filmen" untersucht (107-142). Zunächst legt er fundiert und überzeugend dar, warum die Rezeption Germaniens bzw. der Germanen in der Zeit bis in die 80er Jahr hinein so gut wie keinen Platz in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft hatte. Sicher zu Recht betont er die Bedeutung von Franz Langs „Nibelungen"-Verfilmung, die für die Filmschaffenden und ihr Publikum im frühen 20. Jahrhundert vielfältigere Identifikationspunkte als die Germanen bot. Die nationalistische Antikenrezeption der Folgezeit war stark personenbezogen – Arminius/Herrmann eignete sich aber wegen seiner „römischen Vergangenheit", die ihn letztlich zum Verräter macht, wenig als heroische Identifikationsfigur. Eine regelrechte „Germanenschwemme" (108), die sich weniger auf den Spielfilmsektor als auf den Bereich des Dokumentarfilm bezieht, setzt in Deutschland erst spät, nämlich in den 90er Jahren ein. Für diese Wende kann Lindner vier Faktoren ausfindig machen: die Sogwirkung der Hollywood- Produktion Gladiator, der zunehmende Einfluss von edutainment nach angelsächsischem Vorbild, das Jubiläumsjahr der Varusschlacht 2009 sowie der „Neue Patriotismus" in Deutschland nach der Fußball-WM 2006.

Den Abschluss des Bandes bildet dann der Beitrag von Klaus Freitag, der „Antikenrezeption im Spiegel der Namensgebung von modernen Fußballvereinen" nachgeht (143-161). Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass viele der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland gegründeten Fußballvereine antike Termini in ihren Vereinsnamen integrierten. Zu den bekannteren Beispielen gehören vielleicht Fortuna Düsseldorf und Arminia Bielefeld, doch haben wir es hier offenbar mit einem Massenphänomen ohne geographischen, chronologischen oder sozialen Schwerpunkt zu tun, der eine genauere Betrachtung lohnenswert macht. Freitag kategorisiert dazu zunächst die Vereinsnamen in sieben Gruppen: Englische Namenszusätze, Vereinsfarben als Namenszusatz, Funktionale Bezeichnungen, programmatische Deutsche Namenszusätze, programmatische lateinische/griechische Namenszusätze, deutsche Namen von Regionen et al. sowie lateinische Namen von Regionen et al. Aktuelle Studien konnten zeigen, dass der Fußball in seinen Anfängen in Deutschland nicht von Proletariern, sondern von Besserverdienenden und Angestellten favorisiert wurde – anders als in Großbritannien, wo sich keine vergleichbare Tradition antikisierender Vereinsnamen findet. Man bediente sich also bei der Namensfindung in Deutschland der Erfahrungswelten der Vereinsmitglieder – aus deren Geschichts-, Latein- und Griechischunterricht.

Beschlossen wird der Band von knappen Angaben zu den Beiträger/innen; einen Index sucht der Leser allerdings vergebens (wenn auch, wie Lindner bereits in der Einleitung ausführt, sicherlich die Überschneidungen zwischen den Beiträgen so gering ausfallen, dass sich ein Lemma im Regelfall auf einen einzigen Aufsatz beschränken würde – dennoch könnte bei der Länge mancher Beiträge ein Index hilfreich sein). Bedauerlich – aber angesichts des begrenzten Budgets für ein solches Publikationsprojekt zweifelsohne verständlich – ist der vollständige Verzicht auf Abbildungen, den Lindner ebenfalls in der Einleitung begründet. Dennoch wünscht man sich beim Lesen ein ums andere Mal eine Visualisierung.

Man kann diesem Band, der unterschiedlichste Ansätze der Rezeptionsgeschichte ebenso wie ganz unterschiedliche ‚Ausbaustufen' entsprechender Forschungen präsentiert, nur eine breite Leserschaft wünschen. Er zeigt eindrücklich das vielfältige Potential rezeptionsgeschichtlicher Fragen, die das ‚Gegenwärtige der Antike' zum gleichberechtigten Analysegegenstand althistorischen Forschens machen können.

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