Thursday, June 13, 2019

2019.06.20

Karl R. Krierer, Ina Friedmann (ed.), Netzwerke der Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert Beiträge der Tagung vom 30.-31. Mai 2014 an der Universität Wien. Wien: Phoibos Verlag, 2016. Pp. 280. ISBN 9783851611502. €79.00.

Reviewed by Joern Kobes (joern.kobes@gmx.de)

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[The Table of Contents can be found at the end.]

Karl R. Krierer und Ina Friedmann legen die interessanten Ergebnisse einer Tagung an der Universität Wien aus dem Jahr 2014 zu altertumswissenschaftlichen personalen und persönlichen Netzwerkstrukturen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert vor.

Die inhaltlich-chronologische Reihenfolge der Vorträge wurde in der Publikation zugunsten der alphabetischen Sortierung nach Verfasser aufgegeben. Waren die Vorträge in der Tagung noch inhaltlich-chronologisch geordnet, ließen sich inhaltliche und formale Entwicklungen sehr gut darstellen. Da außerdem ein Personenregister fehlt, das in diesem speziellen Fall eine gewinnbringende Zugabe hätte sein können, stehen inhaltlich berührende Beiträge solange verbindungslos nebeneinander: Trotz der geäußerten formalen Kritik sind die Beiträge lesenswert, informativ und auf der Höhe der Zeit.

Es lassen sich einige Themenschwerpunkte erkennen, so die Erforschung der kaiserlich-königlichen Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert, die Wirkungsmacht deutscher Wissenschaftler, die Lehrstühle in Österreich-Ungarn als gezielten Karriereschritt betrachteten. Gründe für einen solchen Schritt lagen in denselben kulturellen Schnittpunkten, der konservativen politischen Strömungen und in dem auf der Hand liegenden Vorteil, die Muttersprache auch hier verwenden zu können.

So beschäftigt sich Karl R. Krierer mit dem Briefwechsel zwischen Alexander Conze und Theodor Mommsen während Conzes Wiener Zeit. In der Korrespondenz geht es hauptsächlich um Conzes Zuarbeiten zu Mommsens Forschungen zu den republikanischen Quellen und dem großen Editionsprojekt CIL. Conze bringt schon mit seinem Antritt in Wien neben seinen deutschen Kontakten schnell die Wiener Altertumswissenschaftler in gegenseitige Kontaktaufnahme und beweist, wie geradezu intuitiv er sich ein Netzwerk zunutze machen konnte, indem er selbst bereit ist, solche Dienste anzubieten bzw. anzunehmen. Darüber hinaus begann Conze schon früh, Unterstützung und die Chancen der eigenen Rückkehr nach Berlin auszuloten. Auch dafür aktivierte er die Mitglieder seines Netzwerkes und deren Netzwerke, suchte aber auch den direkten Kontakt zu Theodor Mommsen, der sich als eifriger Unterstützer dieses Unterfangens beweisen sollte.

Torsten Kahlert bietet dann die Fortführung zu den personalen altertumswissenschaftlichen Korrespondenten-Netzwerken an: Mommsen und seine zahlreiche Umgebung werden seitens des CIL-Großprojekts von den Ursprüngen in den Blick genommen. Dass dies mit der vorhandenen »man-power« nur bedingt bewältigt werden kann, macht Kahlert schon zu Beginn deutlich, als er auf ca. 4000 Korrespondenzpartner verweist, die mit Mommsen in (meist brieflichem) Kontakt standen. Diese überaus hohe Zahl legt nahe, dass sich diese Partner nicht alle untereinander kannten oder in Kontakt standen, so dass wir hier ebenfalls zusätzliche Kontakte erwarten dürfen, so dass der zu vermutende Kreis deren, die sich nicht kennen mussten, aber am selben Projekt mitarbeiteten, deutlich größer gewesen ist. Jedenfalls ist die (Vor- und Früh-)Geschichte der Einrichtung des CIL ein beredtes Beispiel für Möglichkeiten, Netzwerkpolitik zu beobachten.

Christine Ottner untersucht die Gründungsgeschichte des »deutsch-österreichischen Akademiekartells von 1893«. Damit ist der Zusammenschluss der Akademien und gelehrten Gesellschaften in München, Leipzig, Göttingen, Berlin und Wien gemeint, die sich anhand des geplanten Projekts Thesaurus linguae Latinae zusammengefunden hatten. Neben Mommsen an hervorragender Stelle tauchen zwei Wiener Ordinarien, Suess und von Hartel, auf. Ausgehend von den Erfahrungen, die beim CIG, beim CIL, dem Corpus Nummorum und der MGH aufgrund deren Größen gemacht wurden, konnten die Organisationen gezielter und mit ihren Hauptakteuren auch wissenschaftspolitisch schwergewichtiger auftreten, um sich der Unterstützung der Politik gewiss zu sein, zwangsläufig auftretende Kosten zu verteilen und Kollisionen in den Ansprüchen auf solche Projekte und ihre Leitung zu vermeiden.

Verbindungen zum unausgesprochenen Schwerpunkt »Korrespondenz mit Mommsen« lassen sich in weiteren Beiträgen zu den nach Wien berufenen deutschen Professoren knüpfen, auch wenn sie wegen ihres Forschungsgebietes nicht unbedingt mit Mommsen in Verbindung standen oder sich seiner Unterstützung versicherten. So bewegt sich Hubert D. Szemethy als profunder Kenner Otto Benndorfs (seit 1877 Nachfolger Conzes in Wien) mit dessen frühen Netzwerk-Korrespondenten von Mommsen weg, ohne dass sich das Material signifikant ändert. Der Nachlass Benndorf umfasst wohl weit über 20000 Briefe, annähernd 70% (von ca. 1500 Korrespondenzpartnern) davon befinden sich heute im Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, anderes Material häufig in Privatarchiven und in staatlichen Depositorien. Umfang und Verstreutheit der Quellen verdeutlichen, dass hier auch Netzwerk-Forschung benötigt wird, um das Material zu sichten und adäquat zu untersuchen. Eines belegt dieser Zustand auch: Wer so viel Briefe schreibt, so viele Antworten erhält und so viele Kontakte pflegt, muss eine exzellent kommunikative Person sein. Szemethy gelingt es, mit der »Herausschälung« der Briefeschreiber und ihren biographischen Daten ein hervorragendes Instrument für die »Lehrzeit« des thüringischen Archäologen und Ausgräbers von Ephesos bereitzustellen—viele dieser Kontakte begleiteten Benndorf dann auch nach 1877.

Wenn in der Darstellung auch eher die Forschungsinteressen des Rezensenten zum Vorschein traten, muss konstatiert werden, dass im vorgelegten Band noch eine Menge mehr an Informationen, Darstellungen und Netzwerkverknüpfungen zu erkennen sind, die zu suchen und zu beschreiben wertvolle Informationen eröffnen können.

Table of Contents

Vorwort, 7
Johanna Auinger: Die späten Briefe Carl Humanns (1884–1895), 9
Beatrix Bastl: Die 'Altertumswissenschaften', das 'Migrationsproblem' und die 'Disziplin-Losigkeit'. Carl von Lützow, 21
Monika Faber: Zur Frühzeit der »archäologischen« Fotografie in Österreich, 39
Ina Friedmann: »Qui tacet, consentit«. Alexander Conze und Wilhelm von Bode im Spiegel ihrer Korrespondenz, 51
Olivier Gengler: »Deux lettres à Mylord Comte d'Aberdeen«. Öffentlicher Briefwechsel und Kontroverse über die Inschriften von Michel Fourmont am Anfang des 19. Jahrhunderts, 61
Daniela Haarmann: Die Netzwerke des Franz de Paula Neumann (1744–1816), Leiter des Wiener k. k. Münz- und Antikenkabinetts, 73
Torsten Kahlert: Große Projekte und informelle Netzwerke. Theodor Mommsen und das Corpus Inscriptionum Latinarum, 87
Raimund Karl: Moriz Hoernes and his network. Transfer of epistemology into and in archaeology, past and present, 95 Karl R. Krierer:
Alexander Conze und Theodor Mommsen. Die Wiener Briefe (1870–1877), 111
Brigitta Mader: Netzwerk Urgeschichte. Ferdinand von Hochstetter und die prähistorische Forschung in Österreich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, 125
Suzanne Marchand: Die Würdigung der Kunst von Anderen: Josef Strzygowski und die österreichischen Ursprünge der außer- europäischen Kunstgeschichte, 139
Christine Ottner: Zwischen Berlin und Wien: Theodor Mommsen, Wilhelm von Hartel und Eduard Suess als Proponenten des deutsch-österreichischen Akademiekartells von 1893, 159
Marianne Pollak: Zwischen Bayern und Innviertel. Die Frühzeit der archäologischen Forschung im westlichen Oberösterreich, 171
Stefan Rebenich: Personale Netzwerke und wissenschaftliche Normierung: Das Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft, 185
Andreas Schmidt-Colinet: Louis-François Cassas (1756–1827) als Vorläufer und Wegbereiter von Netzwerken in den Altertumswissenschaften des 19. Jahrhunderts, 199
Hubert D. Szemethy: Otto Benndorfs frühe Korrespondenzen. Zeugnis für den Aufbau eines wissenschaftsorientierten Netzwerks, 209
Eckhard Wirbelauer: Die »Kreise« des Althistorikers Ernst Fabricius (1857–1942), 249
Michaela Zavadil: Verwobene Netzwerke: Wissenschaft und Personalakquise bei Heinrich Schliemann, 267

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