Friday, January 29, 2016

2016.01.34

Brett M. Rogers, Benjamin Eldon Stevens (ed.), Classical Traditions in Science Fiction. Classical presences. Oxford; New York: Oxford University Press, 2015. Pp. xiii, 380. ISBN 9780190228330. $35.00 (pb).

Reviewed by Michael Kleu, Universität zu Köln (mkleu@uni-koeln.de)

Version at BMCR home site

Preview

Die Antikenrezeption in der Science-Fiction erfreut sich in letzter Zeit einer größeren Beliebtheit, was sehr zu begrüßen ist, bietet sich so doch eine schöne Möglichkeit, die Antike auch Menschen näher zu bringen, die bisher eher weniger Interesse für sie aufbrachten.1 Gleichzeitig erweist sich die Science-Fiction als ein derart fruchtbares Themenfeld für rezeptionsgeschichtliche Fragestellungen, dass sie sich den Altertumswissenschaften als Forschungsfeld geradezu aufdrängt. Da bisher eher wenige allgemeinere wissenschaftliche Überlegungen zu diesem Themenbereich vorliegen,2 soll der Schwerpunkt der vorliegenden Rezension auf der bemerkenswerten Einleitung des von B.M. Rogers und B.E. Stevens herausgegebenen Sammelbands liegen.

Die von den beiden Herausgebern verfasste Einleitung (S. 1-24) beginnt mit Überlegungen zu Mary Shelleys „Frankenstein", das den auf die antike Mythologie verweisenden Untertitel „The Modern Prometheus" trägt und — je nach Definition — als erstes Werk dessen, was wir heute als Science-Fiction bezeichnen, betrachtet werden kann. Am Beispiel des „Frankenstein" gelingt es den Autoren anschaulich aufzuzeigen, als wie vielschichtig sich Antikenrezeption erweisen kann. Denn der Untertitel des Buches stellt einerseits auf direkte Weise die „Moderne" dem antiken Mythos gegenüber, stammt ursprünglich aber von Immanuel Kant, der mit diesen Worten Benjamin Franklin umschrieb. Mary Shelley orientierte sich also bei der Niederschrift ihrer Geschichte nicht nur an der antiken Überlieferung des Mythos,3 sondern auch an dessen bereits existierender Rezeption in anderen modernen Schriften. In einem weiteren Schritt verweisen Rogers und Stevens auf ein Zitat aus Miltons „Paradise Lost", das Shelley auf der Titelseite ihres Buches anführte, womit sie zusätzlich eine christliche Tradition aufgriff, die — selbst bereits zum Klassiker geworden — ihrerseits wiederum ihren Ursprung in der Antike hat. Wie sich zeigt, erfolgt Antikenrezeption nicht zwingend auf einer direkten Ebene, sondern gegebenenfalls über mehrere Zwischenstufen (S. 1-4).

Hinsichtlich der Frage, was denn nun genau unter „Science-Fiction" zu verstehen ist, legen sich die Autoren angesichts der Vielzahl der Definitionsmöglichkeiten nicht fest, betonen aber, dass Mary Shelleys „Frankenstein" zur Science-Fiction zähle und diese eingeleitet habe. Von dieser Prämisse ausgehend, stellen Rogers und Stevens fest, dass die moderne Science-Fiction von ihren ersten Anfängen an zwar Gegenwart und Zukunft thematisiere, dabei aber eben häufig auch auf die Antike zurückgreife, wobei diesbezüglich wieder die durch „Frankenstein" gewonnene Erkenntnis relevant wird, dass diese Rezeption nicht zwingend direkt auf der antiken Überlieferung fußen muss, sondern durch vermittelnde Medien erfolgen kann, die ihrerseits direkt oder indirekt auf Elemente der antiken Welt zurückgreifen. Auf diese Weise können Werke der Science-Fiction schließlich selbst neue Versionen antiker Traditionen schaffen. Mit dem vorliegenden Sammelband möchten Rogers und Stevens daher mögliche Wege aufzeigen, wie man sich wissenschaftlich mit der vielschichtigen Rezeption antiker Literatur in der Science-Fiction auseinandersetzen kann (S. 4-8).

Im Folgenden thematisiert die Einleitung unter der Fragestellung „The Origins of the Future?" epistemologische und ethische Probleme, die sowohl mit der klassischen Tradition als auch mit der Science-Fiction verbunden sind. Rogers und Stevens nähern sich diesen Problemen auf Basis zweier Fragestellungen: 1. Wie beeinflusst „technoscience" unser Verständnis von der Welt, und inwiefern ähneln wir bei unseren Versuchen, die Welt zu verstehen und zu manipulieren, Victor Frankenstein? 2. Wie ist das Verhältnis zwischen einem technowissenschaftlichen Verständnis der Welt sowie dem Menschen und seinen Handlungen gestaltet, und inwiefern sind sowohl wir als auch unsere Handlungen wie Frankensteins Monster Produkte technowissenschaftlichen Wissens und daraus resultierender Anwendungen (S. 8-11)?

Im Anschluss entwerfen Rogers und Stevens eine theoretische Rechtfertigung für die Beschäftigung mit der klassischen Tradition und der Science-Fiction, wobei sie die Ergebnisse zweier einflussreicher Science-Fiction-Wissenschaftler (Adam Roberts und Darko Suvin) miteinander verbinden, was ihnen erlaubt, moderne Werke der Science-Fiction als Bestandteil der Antikenrezeption zu betrachten, während gleichzeitig antike Schriften als Science-Fiction bzw. „knowledge fiction" gelten können. An interessanten Parallelen halten die Autoren in diesem Zusammenhang fest, dass die Science-Fiction und die Klassische Philologie etwa zeitgleich in Erscheinung getreten seien4 und dass sich beide mit Welten befassen, die (noch) nicht bzw. nicht mehr real sind. Dabei sei es besonders die diesen Welten gemeinsame Fremdheit, die eine klare theoretische Rechtfertigung dafür biete, sich auf wissenschaftlicher Ebene mit der Beziehung zwischen Science-Fiction und antiker Literatur auseinanderzusetzen (S. 11-19).

Am Ende der Einleitung erläutern Rogers und Stevens schließlich die Struktur des Sammelbandes, die sich grob an der chronologischen Reihenfolge der in den jeweiligen Beiträgen besprochenen Science-Fiction-Werke orientiert. Gleichzeitig ziehen die Autoren an dieser Stelle bereits ein Fazit zu jedem Abschnitt des Buches. Kapitel I trägt die Überschrift „SFʼs Rosy-Fingered Dawn" und thematisiert die überraschend engen Verbindungen der ersten Werke der modernen Science- Fiction-Literatur mit den literarischen Werken der Antike, wobei Ähnlichkeiten in Struktur, Sprache und Bildern auf eine tiefere philosophische Verbindung hindeuten und Fragen in Bezug auf Erkenntnistheorie und Glauben aufwerfen. Kapitel II setzt sich mit den Klassikern der Science-Fiction auseinander, bei denen der direkte Bezug zur klassischen Literatur deutlich abnimmt. Dafür zeigt sich nun etwa, wie Aristoteles unsere Vorstellung davon prägt, wie ein Drama zu verfassen sei, und wie Hesiod und Ovid unsere Vorstellung von Zeit beeinflussen. Das dritte Kapitel behandelt „Classics in Space". Hier wird deutlich, dass einige zentrale die Gesellschaft und den Menschen betreffende Themen der Science-Fiction bereits in der klassischen Literatur vorzufinden sind. Im Vordergrund des abschließenden Kapitels IV, das den Titel „Ancient Classics for a Future Generation?" trägt, steht der Umstand, dass die in der Science-Fiction behandelten vergangenen, zukünftigen oder alternativen Welten oft dazu dienen, sich in Form von Gedankenexperimenten mit der eigenen Welt auseinanderzusetzen. Des Weiteren leiten sich aus diesem Kapitel Fragen ab, die wiederum den gesamten Sammelband betreffen: Trägt die Rezeption der Antike in der Science-Fiction dazu bei, erstere wiederzubeleben, oder wird die Antike durch diese Rezeption überflüssig? Funktioniert die Antikenrezeption in der Science-Fiction wie ein Materieteleporter, der antikes Material in eine neue Raum-Zeit-Ebene versetzt, oder funktioniert sie eher wie eine Strahlenpistole, die dieses Material unwiderruflich in seine kleinsten Einzelteile zerlegt (S. 19-24)?

Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes thematisieren hinsichtlich der Science-Fiction sowohl Literatur, Film und Fernsehen als auch Comics, sodass letztlich nur Computerspiele als mögliche Medien der Antikenrezeption in der Science-Fiction außen vor bleiben. Dabei erweisen sich die Ebenen der Untersuchungen als äußerst vielschichtig: So werden in einigen Beiträgen die inhaltlichen Bezüge zur Antike veranschaulicht, wobei sich zeigt, dass diese eher oberflächlich sein können (z.B. in „Star Trek: The Original Series"), sich in anderen Fällen aber auch als durchaus tiefsinnig und kenntnisreich herausstellen können (z.B. in Dan Simmonsʼ „Ilium"). Andere Beiträge zeigen deutliche Parallelen in der Erzählmethode auf (z.B. in der Ilias und in Frank Herberts „Dune"), während ein Artikel nicht die Rezeption in den Mittelpunkt stellt, sondern die Thematisierung künstlicher Intelligenz im klassischen Mythos mit der in „Blade Runner" vergleicht. Somit erfüllt der Sammelband das oben angesprochene Ziel, die unterschiedlichen Möglichkeiten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Rezeption antiker Literatur in der Science-Fiction aufzuzeigen.

Im Anschluss an die Beiträge folgen „Suggestions for Further Reading and Viewing", in denen Robert W. Cape jr. eine Auswahl von Science-Fiction-Werken aus Literatur, Film und Fernsehen vorstellt und den jeweiligen Bezug zur Antike erläutert (S. 327-338). Darauf folgen eine Zusammenstellung der in den Artikeln zitierten Literatur (S. 339-370) sowie ein Index, der Werke, Personen und weitere Aspekte aus Antike und Science-Fiction aufführt (S. 371-380).

Sicherlich kann man bei jeder Studie über einzelne Aspekte diskutieren.5 Solche Detailfragen ändern aber letztlich nichts daran, dass sämtliche Beiträge von gutem oder sehr gutem Niveau sind und dazu anregen, das eine oder andere der angesprochenen Werke (erneut) zur Hand zu nehmen. Somit ist der Sammelband insgesamt als äußerst gelungen zu bezeichnen, und es bleibt zu hoffen, dass weitere Studien auf ähnlichem Niveau folgen werden.



Notes:


1.   Vgl. diesbezüglich etwa die Tagung zur Antikenrezeption in der Science-Fiction-Literatur, die im Mai 2015 an der Universität zu Köln stattgefunden hat: Antikenrezeption in der Science-Fiction-Literatur).
2.   Zu den bisherigen theoretischen Überlegungen zur Antikenrezeption in der Science-Fiction vgl. die Auflistung der wichtigsten Literatur auf S. viii.
3.   Zur direkten Antikenrezeption in Mary Shelleys „Frankenstein" vgl. den Beitrag von J. Weiner zum Thema „Lucretius, Lucan, and Mary Shelley's Frankenstein" (S. 46-74).
4.   Hinsichtlich der Klassischen Philologie wird an dieser Stelle nicht deutlich, inwiefern sie zeitgleich mit der Science-Fiction in Erscheinung getreten sein soll. Es scheint jedenfalls eine Entwicklung der Klassischen Philologie gemeint zu sein, die in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts einzuordnen ist, da die Autoren davon ausgehen, dass die Science-Fiction durch Mary Shelleys "Frankenstein" (1818) eingeleitet wurde (s.o.).
5.   So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob man bei einer Untersuchung der Neuauflage von „Battlestar Galactica" das Original und die mormonischen Einflüsse auf die Erzählung einfach ausklammern kann. Aufgrund der Fragestellung, die V. Tomasso in seiner Untersuchung der Neuauflage verfolgt, steht es außer Frage, dass diese im Zentrum stehen muss, doch hätte die Übernahme antiker Bezüge aus dem Original (z.B. die Namen „Apollo" und „Athena") zumindest kurz angesprochen werden können.

No comments:

Post a Comment

Note: Only a member of this blog may post a comment.