Monday, April 8, 2013

2013.04.16

Ángel Martínez Fernández, Επιγραφές Πολυρρηνίας. Δημοσιεύματα του Αρχαιολογικού Δελτίου / Publications of the Archaiologikon Deltion, 103. Athens: Υπουργείο Πολιτισμού και Τουρισμού, ΤΑΠΑ / Hellenic Ministry of Culture and Tourism, TAPA, 2012. Pp. 264. ISBN 9789603860280.

Reviewed by Anna Ginestí Rosell, KU Eichstätt-Ingolstadt (anna.ginesti@ku.de)

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Dieses Buch ist das aktualisierte Corpus der Inschriften aus der antiken kretischen Stadt Polyrrhenia. Der Autor Ángel Martínez Fernández beschäftigt sich seit Jahren mit der Epigraphik Kretas,1 und dies kommt in den Kommentaren zu den einzelnen Inschriften zur Geltung, die ausführlich und reich an Informationen sind.

Das Buch beginnt mit einer Einleitung, in der als Erstes die Geschichte der antiken Stadt anhand der literarischen und epigraphischen Quellen skizziert wird. Im Abschnitt über den Namen der Stadt, Πολυρρήν, Πολυρήν wird der mykenische Ursprung dieses Namens verdeutlicht und schließlich diese Erkenntnis mit den archäologischen Resten mykenischer Zeit aus der Region in Verbindung gebracht. Dass Polyrrhenia in hellenistischer Zeit eine wichtige Polis war, belegen die vielen Zeugnisse ihrer zwischenstaatlichen Verbindungen sowie ihre Sonderstellung im kretischen Koinon des 3. Jh.s v.Chr. Die Einleitung schließt mit einer Liste von Institutionen und Kulten der Stadt.

Nach der Einleitung findet der Leser zunächst ein Kapitel zu den Testimonia, die sowohl literarischer als auch epigraphischer Natur sind. Vor allem bei den inschriftlichen Testimonia zeigt sich die akkurate Herangehensweise des Autors, die im eigentlichen Corpus besonders zu schätzen ist. Denn die Inschriften werden unter Einbeziehung der aktuelleren Literatur mit einem kritischen Apparat und einer Übersetzung ins Neu-Griechische ausführlich präsentiert.

Das eigentliche Corpus besteht aus 83 Inschriften. Die meisten werden in die hellenistische und Kaiserzeit datiert. Es gibt eine einzige Inschrift aus dem 5. Jh.v.Chr. (Nr. 1) und eine christliche Inschrift (Nr. 83). Die Inschriften aus der hellenistischen und Kaiserzeit (Nr. 2 bis 82) werden in Dekrete (Nr. 2 bis 5), Briefe (Nr. 6 und 7), Staatsverträge (Nr. 8), Weihinschriften (Nr. 9 bis 13), Ehreninschriften (Nr. 14 bis 16), Grabinschriften (Nr. 17 bis 27), Namenskataloge (Nr. 28 bis 76), Fragmente (Nr. 77 und 78), lateinische Inschriften (Nr. 79 und 80) und andere (Nr. 81 und 82) eingeteilt. Jede dieser Inschriften wird sorgfältig präsentiert und mit einem detaillierten Kommentar versehen, in dem die Vertrautheit des Autors im Umgang mit der kretischen Epigraphik zum Vorteil für den Leser wird. Eine aktualisierte Literaturliste schließt die Präsentation jeder Inschrift ab.

Wie in jedem guten epigraphischen Corpus folgen auf die Präsentation der Inschriften ausführliche Indices der Namen und der griechischen Wörter sowie Konkordanzen zu älteren Publikationen und eine Liste der Aufbewahrungsorte der Inschriften. Am Ende des Buches finden sich 56 Tafelseiten und zwei Karten.

Die Notwendigkeit dieser Edition zeigt sich darin, dass seit dem Werk von M. Guarducci über die kretischen Inschriften,2 17 neue aus Polyrrhenia dazu gekommen sind. Sechst davon werden hier sogar zum ersten Mal ediert oder einem breiteren Publikum zugänglich gemacht (Nr. 3, 22, 69, 76, 80 und 82). Zwei dieser neuen Texte und ein schon seit längerem bekannter sollen im Folgenden näher besprochen werden.

Die Inschrift Nr. 22 zeigt einen erstaunlichen Vorgang. Es handelt sich um eine Grabinschrift mit Wiederverwendung. Die frühere Inschrift wird auf Ende des 3. Jh.s v.Chr. datiert, die zweite auf Anfang des 2. Jh.s v.Chr. Der erste Name wurde irgendwann radiert, ist heute aber noch zu lesen. Die Namen der zwei Nutzungsphasen (A: Ξανθάγορας Ἀριστίωνος und B: Σῶσος Ξανθαγόρα) zeigen, dass der Zweitnutzer erstaunlicherweise wohl der Sohn des Erstnutzers gewesen sein muss. Was ihn dazu veranlasst hat, den Namen seines Vaters zu radieren, bleibt im Dunkeln. Ángel Martínez Fernández bietet dafür allerdings eine mögliche und plausible Erklärung: dass die Reste des Vaters bei der Zweitnutzung des Denkmals wohl nicht mehr dort lagen. Familiendenkmäler sind aber in den griechischen Nekropolen keine Seltenheit. Bei diesen lässt jede Generation die neuen Namen eingravieren, sodass das Ergebnis eine Namensliste über mehrere Generationen und aus unterschiedlichen Epochen ist. Daher wäre eine Radierung wie im vorliegenden Fall wohl nicht unbedingt notwendig gewesen. Es bleibt auf andere Parallelen zu hoffen, um dieses Phänomen ausreichend erklären zu können.

In der Inschrift Nr. 76 zeigt sich die Vorsicht des Autors davor, zu schnelle Rückschlüsse zu ziehen. Es handelt sich um eine Liste von Namen. In der 5. Zeile liest sich der bis dahin unbekannte Name Ἀναβας. Zwei Deutungen werden vorgeschlagen: es handelt sich entweder um einen weiblichen Namen Ἀναβάς, Ableitung aus Ἀβάς, -άδος oder ein um einen männlichen Namen Ἀνάβας, Ableitung aus Ἄβας, -αντος. Aufgrund der Onomastik auf der Insel zieht der Autor die Lesung als weiblichen Namen vor, lässt ihn aber in der Edition der Inschrift unakzentuiert.

Unter den Grabinschriften verdient das Epigramm Nr. 24 einen besonderen Kommentar. Es handelt sich um ein Epigramm für einen jung Verstorbenen. Die Eltern klagen, dass sie für ihn kein Hochzeitslied singen werden können, da die Moira ihn aus der ἀγέλα gerissen hat. Die Vorfreude auf die Hochzeit weicht infolge des frühen Todes tiefer Trauer. Dies ist ein in der epigrammatischen Literatur weit verbreitetes Motiv, für das im Kommentar viele Parallelstellen zitiert werden. Von großem Interesse ist hier die Erwähnung der ἀγέλα, eine Institution, die der Ephebie ähnlich ist. Diese Institution war auf Kreta bereits bekannt, das Epigramm bietet aber ihre einzige Erwähnung in Polyrrhenia und zeigt, dass Grabinschriften auch eine Quelle für die Institutionen einer Stadt sein können.

Dieses neue Corpus der Inschriften Polyrrhenias ist sehr sorgfältig erarbeitet und bietet zahlreiche neue Einblicke in diese kretische Stadt. Es wird ein nützliches Instrument für alle diejenigen sein, die sich mit der griechischen Epigraphik im Allgemeinen und insbesondere mit der Epigraphik Kretas beschäftigen.



Notes:


1.   Martínez Fernández, A. (2006), Epigramas Helenísticos de Creta, Madrid, und Inscripciones de Creta.
2.   Guarducci, M. (1939), Inscriptiones Creticae. II. Tituli Cretae Occidentalis, Roma.

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